Hätte man in Athen vor sechs Jahren jemandem gesagt, dass per Parlamentsbeschluss alle Staatsbetriebe, sogar Wasser, Waffenindustrie und Strom in eine Treuhandanstalt einfließen werden, die Einweisung in eine psychiatrische Heilanstalt wäre sicher gewesen. Es war die Zeit, in der sich die Griechen über Schlagzeilen in der deutschen Presse, vor allem in der Boulevardpresse echauffierten.

Im Mai 2011 schrieb die BILD gar, dass auch die Akropolis zum Verkauf stehen müsse. Allein die Erwähnung solcher Vorschläge brachte jeden, der sie aussprach in den Verdacht, ein Vaterlandsverräter zu sein.

Die Privatisierungen

Vollkommen konträr stellt sich auf den ersten Blick die heutige Situation dar. Im Parlament verabschiedete die SYRIZA – ANEL Regierung am Dienstag sogar die Privatisierungen der staatlichen Wasserversorger. Für den Verkauf stimmten neben den SYRIZA- und ANEL-Abgeordneten auch die beiden in der Fraktion von SYRIZA sitzenden aber zu den griechischen Abgeordneten der Grünen. Die Grünen stellen mit Umweltminister Giannis Tsironis auch ein Regierungsmitglied. Am Mittwochmorgen, dem Tag der Abstimmung, trat Tsironis vor die Presse und verkündete, dass am Dogma seiner Partei, welches eine Privatisierung von Wasser nicht zulässt, nichts geändert wird.

Beide Grünen wurden noch am Mittag zum Premierminister geladen. Sie stimmten später ebenso für die Übertragung der Wasserwerke an die neue Treuhandanstalt, wie ihre übrigen 150 Fraktionskollegen. Tsironis behauptete dagegen im Parlament ebenso wie all seine Kollegen, dass die Übertragung der staatlichen Güter und Betriebe für 99 Jahre auf die Treuhandanstalt mit einseitiger Verlängerungsoption kein Verkauf sei. Seitens der Opposition trug dies der Regierung Spott ein.

Der ehemalige Wirtschaftsminister der Nea Dimokratia schlug der SYRIZA-Fraktion vor, doch als Parteiemblem eine Windmühle zu verwenden. Statt zu Karl Marx und dessen Theorien sollten sich die Regierungsparlamentarier als Anhänger von Groucho Marx outen. Denn dieser habe den Spruch, „wenn Euch meine Einstellung nicht gefällt, dann ändere ich sie“ geprägt, spottete Chatzidakis im Parlament. Tatsächlich greifen alle Oppositionsparteien den Spitzenkandidaten der Europäischen Linken der Europawahlen von 2014 von Links an. Während der zweitägigen Debatte im griechischen Parlament gab es zudem Häme, weil sich bei knapp achtzig Parlamentsreden nur dreizehn Abgeordnete der SYRIZA-Fraktion mit eigenen Beiträgen zur Verteidigung der Privatisierungen einfanden. Vom Koalitionspartner Unabhängige Griechen gab es überhaupt keinen Redebeitrag.

Die namentliche Abstimmung im Parlament verlief dagegen recht undramatisch. Anders als früher waren die Reihen der Ministerbänke schon leer, bevor der letzte Abgeordnete sein Votum abgab.

Demonstrieren die Griechen weniger?

Vor dem Parlament hatte sich am Abend eine kleine Schar Demonstranten versammelt. Weniger als 2000 protestierten gegen den Ausverkauf der Wasserwerke. Wasser, gilt in Griechenland als Allgemeingut, der Verkauf von Wasserwerken wird in der Bevölkerung als Hochverrat angesehen. Dennoch blieb die Demonstrationsgruppe klein, was Reporter französischer Fernsehsender dazu brachte, nach den Gründen für das vermeintliche Resignieren der Griechen zu suchen.

Tatsächlich bleiben große Demonstrationen, mit international öffentlichkeitswirksamen Tränengas- und Molotowcocktail-Schlachten bislang aus. Die Polizeistatistik zeigt jedoch, dass die Griechen weiterhin fleißig protestieren. Diese verzeichnet einen dramatischen Anstieg der gegen die Regierung gerichteten Demonstrationen.

Allein in den ersten sechs Monaten 2016 gab es 4.222 Demonstrationen bei denen 80.170 Ordnungspolizisten eingesetzt wurden. Im gesamten Jahr 2015, in dem die Bürger sehr oft auch für die Regierung und gegen die EU-Spardiktate auf die Straße gingen, waren es 4.110 Demonstrationen mit 108.479 Beamten. Im letzten Regierungsjahr des neoliberalen Antonis Samaras wurden dagegen 5.198 Demonstrationen registrierte, bei denen 139.719 Polizisten im Einsatz waren.

Der Unmut schlägt sich auch in den Umfragewerten nieder. Die Parteizeitung von SYRIZA, die Avgi, gab eine Umfrage in Auftrag, die ergab, dass 85 Prozent der Griechen das Land auf falschem Kurs sehen. Mehr als ein Viertel, 26 Prozent bezeichneten sich als wütend und empört über die Regierung, wiederum 26 Prozent sagten sie seien enttäuscht und 17 Prozent sind in tiefer Sorge.

In ernster finanzieller Not befinden sich 73 Prozent des Befragten nur 23 Prozent meinten, sie kämen über die Runden. Im gleichen Klima erklären 90 Prozent, dass sie von der Regierung enttäuscht sind, und 80 Prozent, dass sie auch der Opposition keinen Glauben schenken. Mehr als die Hälfte drängen trotzdem auf Neuwahlen. Sechsunddreißig Prozent meinen, die Nea Dimokratia besser regieren würde, 14 % glauben noch an die SYRIZA-ANEL Koalition als beste Wahl aber 45 % trauen keiner der beiden Optionen.

Schlechte Wirtschaftsaussichten

Dass der von Alexis Tsipras mit der Unterschrift unter das dritte Sparmemorandum mit den Kreditgebern eingeschlagene Kurs dem Land nicht hilft, zeigt sich an den Eckdaten der Wirtschaft.

So rutschte Griechenland in der Rangliste der Wettbewerbsfähigkeit des World Economic Forum vom 81. Auf den 89. Platz. Das Land ist somit für Investoren weniger attraktiv als die Ukraine oder Namibia. Hinsichtlich der Erwartung eines Wirtschaftsaufschwungs liegt Griechenland sogar nur auf dem 136. Platz unter 138 Staaten.

Auch mikroökonomisch sieht es in Hellas düster aus. Acht von zehn Griechen fahren in Athen schwarz, weil sie kein Ticket bezahlen können und offenbar nur teilweise nicht bezahlen wollen. Der reale Lohn für eine halbe Million Griechen liegt bei 338,52 Euro netto, weil sie mit der Bezahlung für Halbtagsstellen abgespeist werden, aber mehr als acht Stunden pro Tag arbeiten müssen. Zum Vergleich, das mehrfach gekürzte Arbeitslosengeld, welches nur für ein Jahr bezahlt wird, liegt bei 360 Euro pro Monat. Vor allem die sozial Schwachen können sich in Zeiten der Massenarbeitslosigkeit nicht gegen die Arbeitgeber wehren.

Die zu niedrige Entlohnung belastet zusätzlich die unter Beitragsknappheit leidenden Rentenkassen. Die Beiträge werden analog zu den Gehältern erhoben. Die größte Kasse, IKA, hat mit 1,640 Milliarden Euro bereits 74 Prozent der staatlichen Zuschüsse aufgebraucht. Damit das Haushaltsziel für 2016 erreicht werden kann, müssten die monatlichen Zahlungen von 205 Millionen Euro auf 145 Millionen Euro fallen. Der IWF rät bereits jetzt zu einer weiteren, der zweiten für 2016 und der dann insgesamt 13. Rentenkürzung seit 2010. Zudem sollen die noch verbliebenen Steuerfreibeträge gestrichen werden.

Der IWF wirft den griechischen Regierungen jedoch gleichzeitig vor, sämtliche Maßnahmen zu Lasten der schwächeren Bevölkerungsschichten vorgenommen zu haben. Andererseits ist Griechenland der einzige von 34 Staaten bei dem der OECD eine Erhöhung der Unternehmenssteuern feststellte und als offenbar gegen eine Wirtschaftserholung gerichtet monierte.

Die Energiesteuern wurden zudem am 1. Oktober kräftig erhöht. Heizöl ist nun im Schnitt 14 Eurocent pro Liter teurer. Bei den Bauern wurde der Diesel für Traktoren um 65 Prozent bei gleichzeitiger Erhöhung der Einkommenssteuern und der Versicherungsbeiträge erhöht. Schon jetzt sind die griechischen Agrarprodukte allein aufgrund der Erzeugerkosten und ohne unternehmerischen Gewinn teurer als zum Beispiel ein Import aus der Türkei.

Die Regierung kann nicht gegensteuern

In Thessaloniki streiken seit knapp zwei Wochen die Busfahrer. Es ist kein normaler Streik. Die Angestellten der staatlich lizensierten, privaten Verkehrsbetriebe nehmen ihr gesetzlich verankertes Zurückhaltungsrecht wahr. Sie haben seit Monaten keinen Lohn gesehen, die Aktionäre des Betriebs wurden dagegen noch rechtzeitig für ihre Rendite mit staatlichen Geldern bezahlt. Weil die Betriebe jedoch Steuern schulden, kann der Staat nicht einfach eine weitere Rate seiner Zuschüsse für den öffentlichen Personennahverkehr überweisen. Denn die Firmenkonten, auf denen auch die Tageseinnahmen landen, werden automatisch vom Finanzamt gepfändet. Die Regierung scheint keine Lösung für dieses Problem finden zu können, zumal die Pfändung von Konten auf Geheiß der Kreditgeber in eine regierungsunabhängige Behörde ausgelagert wurde.

Der weitere Ausblick

Innerhalb dieser Woche muss Tsipras nun weitere Forderungen der Kreditgeber durch das Parlament peitschen. Danach kann er eventuell auf die weitere Tranche von 2,8 Milliarden Euro hoffen. Allerdings wird der IWF, der auf die für Tsipras politisches Überleben und die griechische Wirtschaft wichtige Neuregelung der Schulden im Sinn eines Schuldenschnitts pocht, erst nach den Bundestagswahlen in Deutschland weiter aktiv am Programm teilnehmen. Es ist offensichtlich, dass sich ohne den IWF die gegen eine Schuldenerleichterung Griechenlands gerichtete Doktrin von Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble durchsetzen wird.

Die Griechen scheinen indes ihre Demonstrationstaktik geändert zu haben. Statt in Massendemonstrationen auf den Straßen für Neuwahlen zu demonstrieren, verlassen sie sich nun auf praktischen Aktivismus. So konnte in Thessaloniki die Wohnung eines körperlich behinderten, in der Krise Pleite gegangenen Familienvaters nicht gepfändet werden, weil Aktivisten das dafür notwendige Gerichtsverfahren so lange störten, bis es für Monate vertagt wurde.

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